in fussballland
: Nervöser Blick zum Himmel

CHRISTOPH BIERMANN über Terror – und warum er den Fußball und seine Stadien bisher verschont hat

Christoph Biermann, 42, liebt Fußball und schreibt darüber

Am 11. September 2001 telefonierte ich mit einem Kollegen in London, als er mir sagte, gerade sei ein Flugzeug in ein Hochhaus in New York geflogen. Am Nachmittag saßen wir bei der Geburtstagsfeier meines Freundes Holger um den Fernseher und versuchten zu begreifen, was passiert war. Anschließend fuhr ich nach Gelsenkirchen und konnte nicht glauben, dass an diesem Abend wirklich Fußball gespielt würde. Das konnte wohl niemand, obwohl die Arena AufSchalke zum ersten Spiel in der Champions League nicht nur ausverkauft, sondern auch voll besetzt war. Doch alle waren wie betäubt. Vor dem Anpfiff lief keine Musik, danach spulte das Publikum die üblichen Fußballrituale, Gesänge und Anfeuerungen, eher somnambul ab. Dass die Gäste aus Athen gewannen, lag wohl auch daran, dass sie die Nachrichten in einem fremden Land nicht so erreicht hatten wie die Spieler von Schalke 04.

In den Tagen danach gab es eine Diskussion darüber, wie sicher Fußballstadien vor Anschlägen seien. Aber was ist schon sicher, wenn Menschen andere mit in den Tod nehmen wollen? Samstags gab es vor den Bundesligaspielen beim Einlass lange Schlangen, weil die Zuschauer genauer durchsucht wurden als sonst. Niemand murrte darüber.

Als Maccabi Haifa im vergangenen Jahr in der Champions League bei Bayer Leverkusen spielte, musste man sich als Journalist zwei Wochen vorher akkreditiert haben, damit die Personalien von Sicherheitsstellen überprüft werden konnten. Seine Heimpartien durfte der israelische Meister nicht im eigenen Land austragen, sondern spielte auf Zypern. Auch die israelische Nationalmannschaft musste zu ihren Heimspielen in der EM-Qualifikation auf neutralem Platz antreten, seltsamerweise in Palermo und Antalya. Sie galten als potenzielle Anschlagsziele.

Seit meiner Fahrt nach Gelsenkirchen am September 11 frage ich mich, warum Fußballspiele bislang verschont worden sind. Neben dem Terror, der sich Ziele mit symbolischer Bedeutung wählt – ob nun das World Trade Center oder zuletzt in Istanbul eine britische Bank, das britische Konsulat und eine Synagoge –, gibt es schon lange Anschläge, die auf solche Bedeutung verzichten und die Bevölkerung an sich treffen wollen. In Israel geschieht das in Einkaufsstraßen, Busbahnhöfen, Restaurants oder Discos, wo sich Selbstmordattentäter in die Luft sprengen. In Moskau waren die Besucher eines Rockkonzerts betroffen.

Warum aber keine Fußballspiele? Stadien sind Orte großer Tragödien gewesen, bei denen hunderte von Menschen starben. Immer wieder hat es Massenpaniken gegeben, nach Ausschreitungen auf den Rängen, enthemmter Aggression von Polizisten oder plötzlich losbrechenden Unwettern. Teile von Tribünen sind eingestürzt oder ganze Stahlrohrkonstruktionen, und so viel Augenmerk diesen Fragen eingeräumt wird, können Stadien nie ein ganz sicherer Ort sein. Doch terroristische Akte gab es dort noch keine.

Ich würde gerne zu dem Schluss kommen, dass Fußballstadien, selbst der dunkelsten Logik von Terroristen folgend, etwas haben, das sie sakrosankt macht und als Ziel des Terrors ausschließt. (Dabei meine ich nicht das seltsame Gerücht, nach dem Ussama Bin Laden angeblich Anhänger von Arsenal London sein soll oder sich zumindest gelegentlich Spiele der „Gunners“ angeschaut hat.) Nicht einmal die Taliban in Afghanistan haben Fußball verboten, sondern nur, in kurzen Hosen zu spielen. Das Spiel steht offensichtlich in keinem Widerspruch zu Ideologie, denn Fußball ist ideologisch, nicht östlich oder westlich, kapitalistisch oder sozialistisch, christlich, islamisch oder buddhistisch. Andererseits kann Fußball und die Umstände, unter denen er gespielt wird, für alle Ideologien benutzt werden.

Doch ist das wirklich ein Schutz vor Terror? Wenn immer ich im Stadion sitze und die Motoren eines Flugzeugs höre, blicke ich nervös zum Himmel.